Never paint the same painting twice.
„Und was soll das?“
Die Frage meines Gegenüber erfasste mich schwer. Mein Gesicht geriet ins Schwanken und ich ins Stocken. Obwohl mir die Frage sehr vertraut war, der ältere Herr war nicht die erste Person, die mich derart ins Verhör nahm, spürte ich ein Brett an meiner Stirn. Ich fühlte wie sich Schweiß zwischen Haut und Holz bildete. Ich sah dem Mann ins Gesicht, suchte nach seinem Schweiß. Irgendwo in den Tälern seiner Falten mussten sich Quellen des Schweißes ergießen. Ich kniff beide Augen zusammen, um Bäche zu lokalisieren. Bäche, die sich zu Flüssen sammeln, um letztendlich in salzigen Kaskaden in die Tiefe zu stürzen.
Aber da tat sich nichts. Sein Gesicht war sauber und trocken. War er wirklich dermaßen kalt und berechnend? Die Hände auf dem gebeugten Rücken verschränkt, sah er mit halb offenen Mundwinkeln auf mich herab. Er war klein, doch ich war kleiner. Ich hatte meine Schultern angezogen, was meinen Hals verkürzte. Mit dem linken Bein um einen halben Meter nach hinten versetzt halbierte ich meine Körpergröße, gewann jedoch an Stabilität im Stand. Wichtig, wenn ich mit meinen Erwartungen an die nächste Frage richtig liegen sollte. Verbale Ohrfeige oder eher ein Kommentar in die Magengrube? Ich wusste nicht, was mir willkommener war.
„Was denkt sich der Typ!?“ dachte ich mir. „Kommt in meine Ausstellung, schwenkt seinen Arm in einem fast perfekten Halbkreis und fragt noch kurz freundlich, ob ich denn der Künstler sei.“ Wie ein Gerichtsvollzieher drückte er sich durch die angelehnte Tür zwischen öffentlicher Ausstellung und Privatsphäre des Künstlers. „Meiner Privatsphäre“ wütete ich stumm und weiter“ ich komme doch auch nicht zu dir, lege meine Hand auf deine Schulter und frage dich nach dem Zweck deiner Teetassen-Sammlung. “ Nun, vollkommen überzeugt mit einer willkürlichen Provokation konfrontiert zu sein, spürte ich Wut aufsteigen. Man war mir auf die Füße getreten, das wollte ich mir nicht gefallen lassen.
Ich begradigte meine Wirbelsäule, streckte meine Schultern und wischte mir mit einem unsichtbaren Ärmel die Schweißperlen vom Kinn. Fiebrig suchte ich nach der angemessenen Menge Selbstvertrauen. Ich wollte nicht unkontrolliert zurückschlagen, es sollte eine humorvolle, aber bestimmte Retourkutsche werden. Was ich als Nächstes von mir geben würde, musste gut überlegt sein. Erfahrungsgemäß pflegte ich mir in solchen Momenten Wörter im Kopf zurechtzulegen nur, um sie dann im Angesicht hoher Anspannung, in einer anderen Reihenfolge zwischen meinen Zähnen herausfallen zu lassen.
Gerade war ich mit meinem mentalen Spickzettel fertig geworden, als mir mein Kontrahent wieder Steine in den Weg warf. Er blinzelte. Er tat es nur einmal, dafür aber viel zu langsam. Zumindest viel langsamer als ich erwartete. Ich war verwirrt und tat etwas, was ich nicht von mir gewohnt war: Ich tat einen Schritt zurück. War dies das Blinzeln eines Zynikers? Geduldig wartete ich bis sich seine Augenlieder wieder zurückzogen. Kaum berührten seine Wimpern die üppigen Augenbrauen, bemerkte ich, dass er mir nicht direkt in die Augen schaute. Sein Blick verschwand in meiner linken Augenfalte. Seine Iris zitterte leicht hin und her, als hätte er seine Frage an sich selbst gestellt. Seine Aufmerksamkeit war nicht bei mir. Sie galt einem Gefühl in ihm. Er musste einen Impuls verspürt und die Frage unabsichtlich laut ausgesprochen haben. Was ich als beleidigend und provozierend wahrgenommen hatte, musste in Wirklichkeit pure Ehrlichkeit gewesen sein. Aufrichtig und ziellos musste er einer Empfindung gefolgt sein. Offensichtlich spielte ich in seiner Wahrnehmung keine Rolle mehr. Ich war unwichtig geworden. Kurz überlegte ich, ob mich das kratzen sollte. Das Gegenteil war der Fall. In die Bedeutungslosigkeit gerutscht, hatte ich erreicht, was ich erreichen wollte. Ohne mein Zutun hatte sich ein Mensch in einer meiner Malereien verheddert. Konfus und intuitiv hatten sich in ihm Fragezeichen aufgetan. Ich hatte alles darauf gesetzt, dass meine Bilder das Bedürfnis nach Logik wecken würden. Auch wenn sich auf meinen Bildern weder Logik noch rationaler Zweck finden lässt. Die erfolglose Suche nach einer erlösenden Antwort hinterließ in dem älteren Mann eine unbefriedigte Unruhe.
Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Es war dem Gefühl ähnlich, welches ich empfand, wenn ich malte. Denn ich weiß nie genau, was ich richtig gemacht habe, wenn ich es richtig gemacht habe. Das Gefühl von dem die Rede ist, trifft die Entscheidung, wann eine Idee es wert ist umgesetzt zu werden. Hat das Bauchgefühl seinen Pik erreicht, weiß ich, dass meine Arbeit getan ist. Wenn ich dann vor dem Resultat stehe und mich nicht lösen kann, mich frage was das soll und keine Antwort finde. Wenn ich realisiere, dass was ich geschaffen habe einzigartig ist und jeder Versuch der Reproduktion eine Übelkeit auslöst. Dann habe ich die Anwort gefunden. Auch wenn es mehr eine Antbild als eine Antwort.