You can't see me - See me if you can
Ein besonderes anregendes Lehrstück für die post-moderne Wahrnehmung in der regionalen Fernsehlandschaft liefert der deutsch-niederländische Künstler Jos Diegel (geb. 1982). Genau genommen handelt es sich künstlerisch um eine besondere Form konzeptioneller Überhöhung und Zweckentfremdung. Am 26. September 2011 will es ein deutscher Fernsehsender in einem Kurzbericht einer regionalen Sendung wissen: Können Affen und Kinder moderne Kunst machen oder ist ein professioneller, authentischer Künstler den beiden deutlich überlegen? Die Antwort soll ein Malwettbewerb geben. Dabei gelten für alle die gleichen Bedingungen: ein Papier von 70cm*50cm, vier Fingermalfarben in Rot, Grün, Gelb und Blau, zwei Pinsel in verschiedenen Größen und zehn Minuten Zeit.
Und los gehts. Drei vermeintlich kreative und doch so austauschbare Kategorien treten gegeneinander an. Das ist die Erzählung, dabei werden Rollenbilder wie das des Kindes, des Affen und zu allererst einmal das des Künstlers sowie die Wahrnehmung von Kunst feierlich reproduziert und bestätigt. Nachher werden die drei Bilder Passanten in einem Frankfurter Shopping Center gezeigt und diese müssen erraten, wer das Bild gemalt hat, Künstler, Kind oder Affe. Das ist ein sehr unterhaltsames Quiz, hat dabei aber vermeintlich auch einen tieferen Sinn. Denn damit werden zentrale, sowohl kindische als auch kindliche, anthropomorphe Fragen gestellt: was überhaupt ist Kunst und kann Kunst einfach definiert werden? Welches Kompositionskonzept verfolgt der oder die Künstlerin? Verfolgen Affen und Kinder eine ästhetische Intention? Welche Rolle spielt der Betrachter? Beginnt der künstlerische Prozess vielleicht erst, wenn es spielerisch für Affe und Kind uninteressant geworden ist? Wurden im Fall malender Affen und Kindern nur Quasi-Kunst erzeugt? Aus der Perspektive der Kunstwissenschaft bringt erst eine komplexe Dreiecksbeziehung zwischen Künstler, Objekt und Betrachter ein „Kunstwerk“ hervor. Abgesehen davon aber haben wir es hier mit einer weitaus komplexeren Dreiecksbeziehung zu tun.
Das kann ja jedes Kind, wird oft gesagt und tatsächlich gibt es so eine Sehnsucht, so unbefangen und unbelehrt malen zu können wie ein Kind. So manche/r Künstler oder Künstlerin konnte schon früh malen, aber benötigte ein Leben lang, wieder malen zu lernen wie ein Kind. Malende Affen sind seit Jahrhunderten ein Motiv in der Kunstgeschichte. Der Affe wird zum Wappentier und Symbolfigur im Auftrag der Kunst. Als genialer Dilettant und Nachäffer der Schöpfung wird der Affe zum Markenzeichen künstlerischen Selbstverständnisses. Und als drittes der Künstler, der Künstler selbst ist an alledem nicht interessiert. Eigentlich wurde in dem Fernsehbeitrag mit einem sehr schlechten Werk bewiesen, dass eine Galeristin die Arbeit eines Künstlers erkennen kann, sonst nichts. Nichts wurde bewiesen, was nicht schon längst zur Beweisführung gebracht wurde. Teil einer konstruierten Situation muss es nicht sein, sich als Künstler oder Künstlerin zu beweisen und den Malwettbewerb zu entscheiden. Was die TV-Redaktion nicht weiß, dieser Künstler ist mit von der Partie um einer Intervention Willen, von der niemand wußte.
In seiner Kunst spielt und unterhält Jos Diegel mit Themen über sozialpolitische Fragen und normative Erzählstrukturen. Für ihn ist sein Gesamtkunstwerk eine glückliche und adisziplinäre experimentelle Wissenschaft, in der er mit den Mitteln von Film, Installation, Malerei, Aktionskunst und Literatur Situationen verhandelt und konstruiert. Jos Diegel lebt und arbeitet in Leipzig, Offenbach am Main und Berlin.